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Über die Debatte zur Reform des Urheberrechtes in Frankreich 2005/2006
- DADVSI -

Droits d'auteurs et droits voisins dans la société de l'information
(Urheberrecht und "benachbarte Rechte" in der Informationsgesellschaft)

Letztes Update: 19. Mai 2006


index

Gliederung

  1. Begriff, bisherige Lage und wichtige Ereignisse
    1. DRM
    2. Der Sony-Rootkit-Virus
    3. Warum DRM nicht funktioniert
  2. Lage im Dezember 2005 und ihre Folgen
  3. Die Debatte im Dezember 2005
    1. La Riposte Graduée
      1. 3 Jahre Haft für Unvorsichtigkeit (das Amendement Donnedieu)
    2. Verbot von ICQ, BitTorrent, HTTP, eMule, FTP, MSN...
    3. Verbot aller Open-Source - DVD-Player
    4. Kulturflatrate
    5. Meinungen
  4. Die Debatte im März 2006
    1. Vorgehen der Regierung gegen die Kulturflatrate
    2. Das Amendement Vivendi Universal
    3. MP3-Kompression der Reden des Kulturministers
    4. La Riposte Dégradée
    5. Das Recht auf wenigstens null Privatkopien
    6. Ausnahmeregelung für Bibliotheken
    7. Keine Ausnahmeregelung für Forschung und Lehre
    8. Kein Anspruch auf Auskunft auf Kopierschutz
    9. Früh um drei Uhr: Interoperabilität
    10. Apple: Recht auf Abspielen gekaufter Musik ist staatlich geförderte Piraterie
  5. Zusammenfassung der Ergebnisse vom März
  6. Wie geht es weiter?
  7. April 2006
    1. Der Pinguin der Freiheit
    2. Die Liste des Bösen
    3. Mehr Spaß mit dem Amendement Vivendi Universal
  8. Mai 2006 - Die Debatte im Senat
    1. Das Amendement Vivendi Universal
    2. Kein Recht auf Interoperabilität mehr
    3. Doch keine Tabaksteuer für "Commission des DRMs"
    4. Das Recht auf Null Privatkopien
    5. Umgehen von DRM für Interoperabilität
    6. Spyware in DRM nur nach Erlaubnis
    7. Kein DRM gegen den Künstler
    8. Ausnahme für Forschung und Lehre
    9. Ausnahme für Bibliotheken
  9. Links/Kontakt

Vokabeln

Amendement: Änderungsantrag
Sous-amendement: Änderungsantrag zum Änderungsantrag

Desinformationen

Da die scheußlichsten Teile eines der scheußlichsten Artikel klammheimlich am letzten Sitzungstag nachts zwischen 2 und 4 Uhr korrigiert wurden, in eine dem Willen von Vivendi völlig entgegengesetzte Richtung, sind viele Autoren anderer Seiten nicht auf dem Laufenden, da sie die Debatte nicht selbst live bis 4 Uhr morgens mitverfolgt haben. Andere schreiben dann falsches ab und so weiter... außerdem verbreitete ein von Vivendi kontrollierter Fernsehsender Desinformationen über den Ausgang der Debatte, die vortäuschen, daß genau diese Änderungen nicht stattgefunden hätten. Vivendi wird auf dieser Seite noch bei einigen Gelegenheiten erwähnt.

Zick-Zack-Kurs der Regierung

Der von heise.de beschriebene Zick-Zack-Kurs der französischen Regierung existiert nicht. Auch wenn es auf den ersten Blick so erscheint, als würde diese Regierung tatsächlich einen solchen Zick-Zack-Kurs fahren, so ist dies bei genauerer Betrachtung der Lage falsch. Die Mehrheit der Regierung (entspricht etwa unserer Koalition) wollte noch nie eine Kulturflatrate, die Opposition will sie immer noch. Woher der Anschein eines Zick-Zack-Kurses kommt beschreibe ich nun im weiteren. Ich möchte darauf hinweisen, daß ich die Debatte vom 07. bis 17. März vollständig und vom 20. bis 23. Dezember beinahe vollständig per live-stream verfolgt habe.

Begriff, bisherige Lage und wichtige Ereignisse

DRM

Unter DRM versteht man "Digital Rights Management" oder "Digital Restrictions Management". Letzteres ist zwar eine etwas mißbräuchliche Bedeutung, sie hat jedoch Einzug in den Text der GPLv3 gehalten und ist damit nicht mehr nur eine abwertende Bezeichnung seitens einer einzelnen Person, sondern vielmehr eine in größeren Kreisen akzeptierte Bedeutung.

Mittels Digital Restrictions Management könnte man also dem Nutzer Restriktionen auferlegen, wie er Material nutzen kann, zum Beispiel könnte man damit per-per-view realisieren, also daß man für jedes Mal, das man ein Musikstück hören will oder einen Film sehen will, bezahlen muß. Diese Aussicht ist natürlich für gewisse Interessengruppen sehr interessant, für andere Interessengruppen, zum Beispiel Verbraucherschützer, ist diese Aussicht dagegen weniger interessant.

Der Sony-Rootkit-Virus

Quelle: Als Grundlage für diesen Abschnitt dient im wesentlichen der Artikel von Mark Russinovich über Sonys Rootkit

"Schützen Sie Ihre Computer: Geben Sie ihnen kein DRM!"


Frédéric Dutoit (CR): "Diese CD kann der Gesundheit Ihres Computers schaden"



"Enthält Spyware!"




Im Jahre 2005 überflog Sony beim Versuch, einen DRM-Mechanismus auf einer Audio-CD zu verwenden, die Grenzen des guten Geschmacks mit Warpgeschwindigkeit. Sony bediente sich einer Rootkit-Technologie, um die Treiber zu verstecken, die die CD beim Einlegen installierte. Da dies jedoch stümperhaft programmiert war, muß man schon beinahe von Computersabotage reden: Dieses Rootkit versteckt nämlich alle Dateien, Verzeichnisse und Prozesse, deren Dateinamen mit $sys$ beginnt. Ein System, welches mit diesem Rootkit infiziert ist, bietet also jedem Virus, jeder Spyware, jedem Trojaner, die Möglichkeit, sich entsprechend umzubenennen, um dann durch den Schutz des Rootkits nicht mehr so einfach zu finden zu sein. Als ob das nicht genug wäre, werden diese Treiber als für den Systemstart essentiell markiert, und damit auch im abgesicherten Modus geladen. Einmal mit diesen Treibern infiziert, ist es also völlig unmöglich, das System zu reparieren, wenn diese Treiber selbst die Ursache eines BSODs sind. Noch schöner ist, daß dieser Treiber zwar die System Service Table verändert, aber trotzdem eine Unload-Funktion implementiert. Das Problem: Entlädt der Treiber sich zu einem schlechten Zeitpunkt, dann springt der Aufruf einer der verbogenen Funktionen ins Leere und führt zu einem BSOD. Laut Mark Russinovich ist es unmöglich, diesen Fall auszuschließen, abgesehen von der Möglichkeit, einfach das Entladen des Treibers generell nicht zuzulassen. Als Randbemerkung der noch erwähnt, daß diese Praktiken, laut Microsoft, auf x64-Systemen nicht mehr toleriert und mit einem BSOD bestraft werden. Andererseits lassen sich diese Vorkehrungen, so Greg Hoglund und James Butler in "Rootkits - Subverting the Windows kernel", ausschalten.

Diese Treiber verhinderten nun, daß die CD von Sony gerippt werden kann bzw. manipulierte den Datenverkehr so, daß beim Rippen etwas Rauschen über den normalen Ton gelegt wurde. Allerdings machte der Treiber das nicht nur bei der CD von Sony, sondern bei jeder CD, die Audiotracks enthält, also auch richtigen Audio-CDs, die ja dadurch gekennzeichnet sind, daß der Urheber oder das Plattenlabel Privatkopien erlauben wollte. Folglich nahm sich Sony das Recht heraus, diese Entscheidung für andere Plattenlabels gegen den Konsumenten zu treffen.

Folglich kann man nur schlußfolgern, daß dieser Treiber die normale Funktionsweise eines Windows-Systems stört und daß die eigentliche Funktion, nämlich das Kopieren des Inhaltes einer bestimmten CD zu verhindern, nur sekundärer Natur ist. Damit handelt es sich also um einen Virus.

Da ein Rootkit grundsätzlich Funktionen patcht, die zur Analyse und zum Beheben von tieferliegenden Probleme in unveränderter Form vorliegen müssen, ist es bei einem System, auf welchem einmal ein Rootkit installiert ist, grundsätzlich unmöglich, die Ursache von Problemen zu finden. Auch die Deinstallation des Rootkits ist keine Lösung, da ja verbliebene Reste getarnt sein könnten und man nie ausschließen kann, daß solche Reste übrig geblieben sind.

Nach der Installation eines Rootkits ist also eine Neuinstallation des Systemes unumgehbar, wenn man ein "sauberes" System benötigt.

Sony wußte Bescheid

Quelle: Artikel von Ratiatum

Wie Ratiatum am 29. November 2005 berichtete, wußte Sony seit dem 17. Oktober 2005 über die Stümperhaftigkeit, mit der das Rootkit programmiert war, bescheid. Aufgedeckt wurde der Skandal am 31. Oktober 2005. Dies ist ein ganz wesentlicher Punkt, da Sony die CDs einige Zeit nach dem Bekanntwerden des Rootkits zurückgezogen hat, Reue gezeigt hat, und vorgab, keine Ahnung davon gehabt zu haben, was das Rootkit anrichtet. Dies rechnete man natürlich Sony zu gute. Als sich zeigte, daß Sony, entgegen seiner eigenen Behauptungen, doch genau wußte, was das Rootkit "leistete", relativierte sich die Bedeutung der Kooperationsbereitschaft von Sony natürlich wieder etwas.

Warum DRM nicht funktioniert

Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß dieser Abschnitt auf HD-DVD und Blu-Ray-Disks nicht zutrifft, da die Annahme, daß der unverschlüsselte Inhalt an irgendeiner Stelle abgreifbar ist, für diese Medien nicht zutrifft.

Wie oben gezeigt, ist es nicht zumutbar, einem ehrlichen Nutzer gegen seinen Willen ein Rootkit aufzuzwingen, um einen DRM-Mechanismus zu installieren, da die Bösartigkeit derjenigen, die solche Mechanismen einsetzen wollen, keine Grenzen zu kennen scheint, und auch die Sabotage des ganzen Systemes kein Tabu darzustellen scheint. Nun tritt aber ein Problem auf: Jemand, der eine Maßnahme zum Digital Restrictions Management umgehen möchte, ist vielleicht doch bereit, für diesen Zweck ein Rootkit in kauf zu nehmen und zu installieren. Auf einem sauberen System könnte aber ein Rootkit installiert werden, welches die unverschlüsselten Daten abgreift, die zur Soundkarte oder zur Grafikkarte gesendet werden, ohne daß irgendjemand oder irgendetwas etwas dagegen unternehmen könnte.

Unter der Prämisse, daß einem ehrlichen Nutzer kein Rootkit aufgezwungen werden darf, kann also DRM nicht funktionieren.

Lage im Dezember 2005 und ihre Folgen

Die Direktive der Europäischen Union zum Urheberrecht aus dem Jahre 2001, die von der Frau des Vorstandsvorsitzenden von Vivendi Universal verabschiedet wurde (Zitat: J'aimerais que les gens sachent que la directive européenne de 2001 a été passée par une députée européenne mariée au PDG de Vivendi), war noch nicht umgesetzt. Es gab eine Gesetzesvorlage in den Schubladen eines Ministers, welche etwa 2 Jahre lang vor sich hingammelte: Sie wurde im November 2003 bei der Assemblée nationale eingereicht, seit 2004 verweigerte die Regierung eine "parlamentarische Informationsmission", um zu vermeiden, daß zu viele Abgeordnete begreifen, um was es eigentlich geht. Übermäßig hohe Priorität hatte diese Vorlage wohl nicht, denn sonst hätte sie ja nicht zwei Jahre in der Schublade gelegen. Aus dieser nicht übermäßig hohen Priorität resultierte dann die Dringlichkeit, die die Regierung erklärte, um eine zweite Lesung der Vorlage verhindern zu können. Die Regierung erklärte also die Dringlichkeit für diese Gesetzesvorlage und setzte die Debatte auf den Zeitraum vom 20. Dezember bis 22. Dezember 2005 an, notfalls auch den 23. Dezember.

Diese Vorlage, die DADVSI genannt wurde, enthielt unter anderem (noch nicht) die Riposte Graduée, die der Minister für Kultur und Kommunikation Renaud Donnedieu de Vabres hoffte durchzusetzen, indem er sie erst am 21. Dezember in Form eines Amendement einreichte. Stimmen aus der Opposition, aber auch aus der UDF, warfen dem Minister vor, er habe die Debatte vorsätzlich auf diesen Zeitraum angesetzt, in der Hoffnung, die Assemblée nationale würde ihm blind vertrauen und die Gesetzesvorlage, inclusive der Riposte Graduée und dem Amendement Vivendi, verabschieden. Franzosen wehren sich aber bekanntlich, wenn ihnen etwas nicht paßt, und sie haben sich gewehrt. Als ob das nicht genug wäre, wollte die Regierung auch versehentliche Vergehen auf diese Art und Weise bestrafen, also zum Beispiel das Vergehen, gutgläubig auf einen Musik-Online-Handel hereinzufallen, der sich später als illegal herausstellt.

Während in Deutschland Urheberrechtsabgaben auf einige Speichermedien erhoben werden, obwohl es, so unsere Justizministerin, kein Recht auf die Privatkopie gibt, wollte die Opposition in Frankreich diesen Zustand genau nicht herstellen und stimmte, zusammen mit einigen Stimmen der Mehrheit, für einen Änderungsantrag zu Artikel 1 des DADVSI-Projektes, welcher vorsah, daß Privatkopien, für die eine Urheberrechtsabgabe geleistet wurde, legal sind. Da in Frankreich, entsprechend eines Gerichtsurteils, ein heruntergeladenes Werk eine Privatkopie darstellen kann, konnte Vivendi die Regierung die Aussicht auf eine Urheberrechtsabgabe auf Internetzugänge zusammen mit diesem Amendement nicht durchgehen lassen. Die Rolle von Vivendi wird weiter unten noch klarer.

Besonders die Abgeordneten der Opposition, unter anderem Patrick Bloche, Christian Paul, Frédéric Dutoit, Didier Mathus, Martine Billard, aber auch einige wenige der Mehrheit, wie Christine Boutin und Alain Suguenot, leisteten erbitterten Widerstand gegen diese Verhöhnung der Bürger. Im Untergrund arbeiteten unter anderem Richard Cazenave und Bernard Carayon zur Schadensbegrenzung der Gesetzesvorlage, ohne sich offen gegen diese Vorlage zu stellen. Dies sind einige der Namen, die die Geschichte nicht vergessen sollte, denn ohne sie wäre das Abspielen einer DVD unter Linux seit dem 1. Januar 2006 in Frankreich verboten und würde mit 3 Jahren Haft und 300.000€ Geldstrafe bestraft.

Die Debatte im Dezember 2005

Vorsichtig ausgedrückt, zeigte sich hier in welchem Ausmaß die Musikindustrie das geschehen beeinflußte. Der Gripfel war wohl, daß selbige als erste in der Geschichte der "Fünften Republik" die Assemblée nationale belagert hat, um kommerziell motivierte Werbung für ihre Produkte zu machen. Den Boden endgültig aus dem Faß gehauen hat dann die Vergabe von bereits bezahlten Downloadgutscheinen im Wert von 9,99€ an die Abgeordneten.

La Riposte Graduée

Die Riposte Graduée selbst zielte darauf ab, ein Überwachungssystem für das gesamte französische Internet umsetzen, welches an '1984' erinnerte und eine effiziente Umsetzung und Anwendung der 'Riposte Graduée' ermöglichen sollte, also des 'abgestuften Zurückfeuerns', so daß erst das dritte Abspielen einer DVD unter Linux mit 3 Jahren Haft und 300.000 Euro Geldstrafe geahndet wird, und nicht bereits das erste. Die effiziente Umsetzung des Überwachungssystemes sollte durch eine Privatpolizei garantiert werden.

Das erste Vergehen sollte zu einer blauen E-Mail führen, das zweite zu einem blauen Brief, der als Einschreiben geschickt wird. Die Regierung wollte dieses Vorhaben zynisch als 'Réponse Graduée' verkaufen, also eine abgestufte Antwort, diese Bezeichnung ist aber nichts weiter als eine unglaubliche Verhöhnung jedes einzelnen Internetnutzers, der für das Abspielen einer DVD unter Linux 3 Jahre Haft und 300.000€ Geldstrafe riskiert hätte. Im allgemeinen Sprachgebrauch der Nationalversammlung hat sich daher die Bezeichnung 'Riposte Graduée' durchgesetzt. Lediglich die UMP blieb konsequent bei dieser Verhöhnung der Bürger.

3 Jahre Haft für Unvorsichtigkeit (das Amendement Donnedieu)

Es sollte nicht nur das illegale Anfertigen einer Privatkopie entsprechend der Riposte Graduée derart bestraft werden, sondern bereits das Abspielen eines geschützten Werkes mittels Open-Source-Software!

Ebenso wollte der Kulturminister durchsetzen, daß die Riposte Graduée bei Unvorsichtigkeit angewendet wird, also zum Beispiel wenn man Musik online kauft und sich dann herausstellt, daß man auf einen Betrüger hereingefallen ist. Dieses Amendement 228 nach Artikel 14 wurde von Renaud Donnedieu de Vabres (et Vivendi) selbst eingereicht, und da es von allem, was er sich in dieser Debatte geleistet hat, auch nicht mehr übertroffen worden ist, heißt dieses Amendement Amendement Donnedieu.

Dieses Amendement, um das es dabei ging, umfaßte 7 Seiten, wurde erst am morgen des 21. Dezembers eingereicht, die Opposition erfuhr aus dem Radio von diesem Änderungsantrag, und die Commission des Lois hatte nur etwa 30 Minuten Zeit, um dieses Amendement zu examinieren, nämlich am 21. Dezember um 21:00 (um 21:30 sollte die Assemblée nationale ihre Arbeit wieder aufnehmen, allerdings kam es zu einer Verspätung von einigen Minuten). An dieser Stelle müßte man sich also ernsthaft fragen, warum dieses umfangreiche Amendement so spät eingereicht wurde, warum die Sitzung der Commission des Lois so anberaumt wurde, daß die Kommission nicht die nötige Zeit hat, um ihre Arbeit so zu machen, wie sie sollte, und ob die Regierung nicht vielleicht gehofft hatte, daß der Kommission dieser Teil mit der Unvorsichtigkeit durch die Lappen gehen würde.

Dieser Wunsch der Lobbys Regierung wurde allerdings nicht akzeptiert: Der entsprechende Änderungsantrag wurde so verändert, daß Unvorsichtigkeit nicht ausreichte. Folglich wurde die Gefahr, daß man jedes Mal, wenn man online Musik einkauft, 3 Jahre Gefängnis riskiert, an dieser Stelle gestrichen. Renaud Donnedieu de Vabres (de Vivendi) machte eine sehr verärgertes Gesicht, als er feststellen mußte, daß die Kommission bemerkt hatte, daß er versuchte, 3 Jahre Haft und 300.000 Euro Geldstrafe für versehentliches Beziehen einer nicht rechtmäßigen Kopie eines Musikstückes einzuführen.

Eine Aufzeichnung des Originaltons bezüglich der Riposte Graduée ist hier im HE-AAC-Format verfügbar.

Verbot von ICQ, BitTorrent, HTTP, eMule, FTP, MSN...

Verboten werden sollte jede Software, ebenso wie die Entwicklung jedweder Software, die den Austausch von Dateien erlaubt, und dabei keine Maßnahmen implementiert, um rechtswidriges Tauschen von Dateien von vorneherein auszuschließen. Dieses Vorhaben ist bekannt geworden als Amendement Vivendi Universal, dessen Ziel es war, illegales Tauschen von Dateien über P2P-Programme so gut wie unmöglich zu machen, unter der Prämisse, daß Kollateralschäden beliebig hoch sein dürfen. Dieses Amendement Vivendi Universal wurde im März vorrübergehend aufgeweicht.

Verbot aller Open-Source - DVD-Player

Verboten werden sollte es, Hinweise zu geben, wie man eine Maßnahme zum Digital Restrictions Management umgehen könnte, oder auf andere Weise das Umgehen solcher Maßnahmen zu erleichtern. Da man bei einem Open-Source - Player, der solche Dateien abspielen kann, den Source-Code mehr oder weniger leicht so modifizieren kann, daß der unverschlüsselte (also ent-DRM-te) Inhalt abgezweigt und abgespeichert würde, würde dies automatisch zum Verbot aller Open-Source - DVD-Player führen, wie zum Beispiel VLC.

Da François Bayrou (UDF) diese Erklärung inhaltlich korrekt und logisch in der Assemblée nationale vorbrachte, kann Renaud Donnedieu de Vabres (et Vivendi) nicht allen ernstes behaupten, das Verbot aller Open-Source - DVD-Player sei nicht sein Ziel gewesen, denn wenn es wirklich nicht sein Ziel gewesen wäre, hätte er ja die entsprechenden Paragrafen auf eigene Initiative hin durch entsprechende Amendements ändern lassen können. Solche Amendements wären problemlos von der Assemblée nationale abgesegnet worden.

Kulturflatrate

Die Opposition ging realistisch an die Sache heran und schlug eine Kulturflatrate vor. Da also rund 8 Millionen Menschen in Frankreich das Internet nutzten, um Musik und Filme herunterzuladen, und die Opposition es als unsinnig, nicht durchsetzbar und gefährlich ansah, per Gesetz 8 Millionen Verbrecher zu schaffen, war ihrer Meinung nach die Lösung ganz offensichtlich: Man erhebt eine Urheberrechtsabgabe auf Internetzugänge, erklärt eine für den ausschließlich privaten Gebrauch aus dem Internet heruntergeladene Kopie als Privatkopie, und erlaubt damit explizit das Herunterladen urheberrechtlich geschützter Werke. Der angestrebte Satz betrug rund 7 Euro pro Monat, was also zu Einnahmen von mindestens 1 Milliarde Euro geführt hätte (22 Millionen Internetnutzer hat Frankreich, natürlich mehr als einer pro Durchschnitt pro Haushalt), natürlich Tendenz zunehmend, da immer mehr Menschen Zugang zum Internet haben werden.

Es wurde zunächst vorgeschlagen, diese Kulturflatrate optional anzubieten, allerdings kam der Einwand seitens der UDF, daß man dann kontrollieren müßte, ob die Leute ehrlich sind, was ohne ein Überwachungssystem, wie die Riposte Graduée es vorsah, nicht umsetzbar ist. Anders als die UMP äußerte die UDF ihre Ablehnung gegenüber dieser Idee also wenigstens auf Fakten basierend, nicht auf "das toleriert Vivendi niemalds"-Basis.

Da ein solches Überwachungssystem natürlich nicht wünschenswert ist, ist eine optionale Kulturflatrate also kaum realisierbar. Für Diskussionen über eine obligatorische Kulturflatrate zeigte sie die UDF dagegen bereit, obwohl sie diese Idee sehr skeptisch sah.

Der Weg zur Kulturflatrate wurde am 21. Dezember 2005, um etwa 23:00 zunächst geebnet, und zwar durch die Annahme des Amendement 154 nach Artikel 1 mit 30:28 Stimmen der Assemblée nationale. Da Vivendi die Regierung dies nicht dulden konnte, wurde genau dieser Artikel 1 zum Gegenstand von Problemen beim weiteren Ablauf der Debatte im März, da die Regierung sehr stark an der Verfassung herumbiegen mußte, um dieses Abstimmungsergebnis wieder loszuwerden.

Um wenigstens einige wenige Künstler auf ihre Seite zu ziehen, startete die Regierung eine Propagandaaktion von Desinformationen, die darauf abzielte, den Künstlern einzureden, daß die Idee, mindestens eine Milliarde Euro jährlich für die Förderung von Kultur in Form einer Urheberrechtsabgabe zu erhalten, darauf abzielen würde, Kulturgut kostenlos unter der Bevölkerung zu verteilen und seinen Wert damit herabzusetzen.

Meinungen

Hier einige in der Debatte geäußerte Meinungen zum Vorhaben, FTP, HTTP, das Abspielen von DVDs unter Linux und ähnliche Verbrechen unter 3 Jahre Haft und 300.000€ Geldstrafe zu stellen, und zu versuchen, das ganze zwischen 20. und 22. oder 23. Dezember durchzuboxen:

Renaud Donnedieu de Vabres (et Vivendi)

Am 20. Dezember 2005:
Ich möchte ganz einfach sagen, daß die Ihnen vorliegende Gesetzesvorlage in keinster Weise freiheitstötend ist...
Originaltext:
Je voudrais très simplement dire que d'aucune manière le projet de loi qui vous est présenté n'est liberticide...
Allerdings wußte die Assemblée nationale noch nicht, daß Renaud Donnedieu de Vabres (et Vivendi) am nächsten morgen das Amendement Donnedieu einreichen würde. Daher bestand eine kleine Gefahr, daß der eine oder andere das glaubt. Und dann später:
...ich hoffe daß, über Sie hinaus, denn ich hoffe gar nicht, Sie überzeugen zu können, die, die uns lesen und hören werden, verstehen, daß das Projekt der Regierung ein Projekt des Gleichgewichtes ist...
Originaltext:
...j'espère que, au-delà de vous, parce que je n'espère pas vous convaincre, ceux qui nous liront et qui nous entendront, s'apercevront que le projet du gouvernementet un projet de point d'équilibre...

Didier Mathus: (SOC)

In der Umsetzung, die Sie uns vorschlagen, hat die Regierung ganz systematisch die Optionen gewählt, die gegenüber den Internetnutzerm am repressivsten, und die gegenüber den finanziellen Interessen der Unterhaltungsindustrie am entgegenkommendsten sind... Wenn dieser Text als ganzes angenommen würde, würde er unser Land irgendwo zwischen Nordkorea und Usbekistan platzieren... Herr Minister, sie sprechen mit uns also, das ist Ihr großer Vortrag von gestern abend, über das 'abgestufte Zurückfeuern'. Das abgestufte Zurückfeuern, das ist schon interessant, denn schon das kriegerische Vokabular ist überraschend. Das abgestufte Zurückfeuern ist etwas, das M. McNamara im kalten Krieg erfunden hat, um sich hinterher umfangreicher Repressalien zu bedienen, die Präsident Eisenhower erfunden hatte. Also schlug M. McNamara das abgestufte Zurückfeuern vor, und dabei war der Kontext extrem kriegerisch, denn es ging ja um eine nukleare Konfrontation mit der Sowietunion. Ich kann daraus nur schlußfolgern, daß Sie das Verhältnis zwischen Ihnen, zwischen dem Ministerium für Kultur, den [?] und den Internetnutzern als ähnlich zu einem nuklearen Krieg sehen. Das ist ein bißchen überraschend für ein Ministerium für Kultur...
Originaltext:
Dans la transposition que vous nous proposez, le gouvernement a systématiquement choisi les options les plus répressives à l'égard des internautes et les plus complaisantes à l'égard des intérêts financiers des industries culturelles ... Si ce texte était adopté en état, il placerait notre pays quelque part entre la Corée du Nord et Ouzbékistan ou quelque chose comme ça .... alors vous nous parlez, M. le Ministre, c'est votre grande invention d'hier soir, de la riposte graduée. La riposte graduée, c'est très curieux, parce que déjà ce vocabulaire guerrier est un peu surprenant, la riposte graduée c'est quelque chose qui a été inventée par M. McNamara dans la guerre atomique, dans la statégie atomique des États-Unis pour faire suite aux repressailles massives qu'avait inventées je crois le président Eisenhower. Et donc M. McNamara proposait la riposte graduée, on était bien dans un contexte extrêmement guerrier, s'agissant de l'affrontement atomique avec l'union soviétique. Donc, j'en déduis que vous considérez que le rapport entre vous, le ministère de la culture, les acteurs de dossiers, et les internautes, s'apparente à une guerre quasi-atomique. C'est un peu surprenant pour le ministère de la culture...

Bernard Carayon: (UMP)

... aber wir sollten nicht alles vermischen, liebe Kollegen! Es gibt einerseits das Kostenlose, das aus gemeinsamer Arbeit resultiert, aus Zeit und Kompetenz von zehntausenden von Männern und Frauen, die Werke oder Software schaffen. Das ist das Kostenlose, das schließlich jedem nützt, das jedem etwas bringt, das unser kulturelles und intellektuelles Erbe bereichert, das die Konkurrenzfähigkeit unserer Unternehmen verbessert und unsere öffentlichen Ausgaben reduziert. Andererseits gibt es auch das kostenlose, das alle etwas kostet, nämlich die Piraterie von Werken zu gewinnbringenden Zwecken, oder Kopien, die nie zum Kauf von CDs oder DVDs führen. Um das letztere zu bekämpfen, und das sollte das einzige Ziel dieses Gesetzes sein, darf man das erste weder töten noch gefährden. Aus diesem Grund müssen wir besonders aufmerksam beim Schreiben der Artikel 7, 13 und 14 sein. Diese dürfen weder absichtlich noch durch ein Mißgeschickt gegen freie Software benutzt werden ...
Originaltext:
... ne mélangons pas tout, chers collègues! Il y a d'une part le gratuit collaboratif issu du don de temps et de compétence de dizaines de milliers d'hommes et de femmes créateurs d'œuvres et développeurs de logiciels, c'est le gratuit en somme qui profite à tous, qui rapporte à tous, qui enrichit notre patrimoine intellectuel et culturel, améliore aussi la compétitivité ne nos entreprises et alège nos dépenses publiques. Il enrichit notre intelligence collective ce gratuit-là. C'est celui de la communauté du logiciel libre que je veux saluer. Il y a d'autre part le gratuit qui coûte à tous, celui du piratage des œuvres à des fins mercantiles ou de la copie qui ne debouche jamais sur l'achat des CDs ou DVDs. Pour combattre le second, et ce doit être le seul objectif de ce texte, il ne faut ni tuer ni même mettre en danger le premier. C'est pour cette raison qu'il nous faut être ensemble particulièrement attentifs aux rédactions des article 7, 13 et 14. Ceci ne doivent être ni intentionnellement, ni maladroitement instrumentalisé contre le logiciel libre...

Zusammenfassung/Ergänzungen

Erhebliche Teile der UMP (aber nicht alle!), ebenso wie Renaud Donnedieu de Vabres (et Vivendi) sahen es als ein Gleichgewicht an, daß das Raubabspielen einer DVD unter Linux mit 3 Jahren Haft und 300.000€ Geldstrafe geahnet werden sollte. Abgesehen von diesen Teilen der UMP konnte diese Argumentation niemand nachvollziehen.

Während die UDF noch ernsthaften Bedarf für Nacharbeiten am Text sah, um es vorsichtig auszudrücken, wollte die Opposition ihn erst als 'irrecevable', also nicht einmal diskussionswürdig, zurückgehen lassen. Das war noch, bevor Renaud Donnedieu de Vabres (et Vivendi) sein Amendement Donnedieu einreichte, welches vorsah, jeden, der online Musik kauft, der Gefahr auszusetzen, zum Gegenstand der Riposte Graduée zu werden. Nach dem Einreichen dieses Amendements wurde es allerdings auch François Bayrou (UDF) zu dumm: sowohl die Opposition als auch die UDF wollte den Text zurück zur "Kommission" gehen lassen ("motion de renvoi en commission"). Leider stellten sich die gerade erwähnten Teile der UMP dem in den Weg, und da diese Teile der UMP alleine schon die absolute Mehrheit in der Assemblée nationale haben, mußte diese Gesetzesvorlage weiter diskutiert werden. Nach dem Ende der Debatte am 17. März werden über 420 Änderungsanträge gestellt, diskutiert und abgestimmt worden sein.

Die Debatte im März 2006

Auch wenn die Riposte Graduée inzwischen als solche vom Tisch war (siehe La Riposte Dégradée), so gibt es durchaus weitere eigenartige Regelungen, zum Beispiel findet die französische Regierung nichts daran auszusetzen, daß ein Künstler von den 99c, die ein Titel online kostet, genau 4c (in Worten: vier Cent) bekommen soll. Die restlichen 95c gehen an die Regierung (19.6% MwSt), die Rechteverwerter und die Plattenlabels. In der Debatte ließ Christian Paul (PS) verlauten, daß Versuche, die Mehrwertsteuer für Musik auf die von Büchern (5.5%) zu senken, von der Regierung wohl geblockt worden waren.

Anders ausgedrückt, man könnte den Künstlern das dreifache bezahlen, und würde mit 30cent pro Titel hinkommen, wenn man wöllte.

Problem

Der im Dezember 2005 durch dieses berühmte Amendement veränderte Artikel 1 wurde zum Stein des Anstoßes von Vivendi der Regierung, die eine solche Festlegung, die Urheberrechtsabgaben einen richtigen Sinn gibt, nicht mitmachen wollte.

Vorgehen der Regierung gegen die Kulturflatrate

Die Strategie der Regierung, um diese Option endgültig aus dem Gesetz zu entfernen, war doch etwas abgedreht und erforderte einige Erläuterungen der Abgeordneten, die selbst am Rande der Verzweiflung nicht mehr sicher waren, ob sie noch durchsahen.


Der Satz der tötet: Jean-Louis Debré (Präsident der Nationalversammlung)*: "Eine Null, die uns in die Scheiße geritten hat und die uns seit dem Beginn [der Debatte] in ein Abenteuer gestürzt hat.

*Über Renaud Donnedieu de Vabres und seine Gesetzesvorlage zum Urheberrecht. Quelle

Ziel

Dieses Amendement zum Artikel 1, welches Urheberrechtsabgaben einen Sinn gab, wurde am 21. Dezember angenommen. Dabei stimmten 30 Abgeordnete dafür und 28 dagegen. Unter den 30 befanden sich auch einige der Mehrheit. Dieses Abstimmungsergebnisse mußte irgendwie annulliert werden.

Das Manöver der Regierung

Plan: Das Einreichen von Amendement 272 sollte nach Artikel 1 einen Artikel schaffen, der eine Alternative zu Artikel 1 schafft. Artikel 1 wurde dazu zurückgezogen, bevor das Amendement 272 eingereicht wurde. Letztlich war es also ein Amendement, welches einen zusätzlichen Artikel nach einem Artikel schafft, der nicht existiert. Für dieses Amendement wurde eine Reihe von Sousamendements eingereicht, von denen jedes diskutiert und abgestimmt werden mußte, um eine endgültige Version von Amendement 272 zu bekommen.

Kurzer Auszug aus der Debatte, nachdem das Amendement 272 eingereicht wurde

François Bayrou:
Meine erste Beobachtung, Herr Minister, ist, daß die Art und Weise, wie diese Debatte organisiert ist, unserer Demokratie keine Ehre macht...
Originaltext:
Ma première observation, M. Le Ministre, c'est que la manière dont ce débat est organisée ne fait pas honneur à notre démocratie...

Henri Emmanuelli:
Da wir beim Ablauf sind, das wird wirklich ziemlich schwer nachvollziehbar. Ich würde gerne verstehen, wie es einen Artikel nach einem Artikel des Artikels, der nicht mehr existiert, geben kann. Da sind wir ja jetzt, nicht wahr!?
Originaltext:
Puisqu'on est dans la procédure, cela devient vraiment assez compliqué à suivre. Moi je voudrais comprendre comment peut-il exister un article après l'article d'un article qui n'existe plus. Voyons, on en est là, on en est là!?

Minister wehrt sich gegen Ausnahmeregelung für Bibliotheken

Im Laufe der Debatte zu Sous-amendement 311 zu Amendement 272 (Ausnahmeregelung für das Kopieren in Bibliotheken) stellte sich heraus, daß die Regierung eine etwas komische Vorstellung zur Förderung von Kultur hatte. Der Minister wollte nämlich diese Ausnahmeregelung nicht und verwies auf ein Abkommen, welches er der Nationalversammlung nicht zeigen wollte. Er behauptete zwar mehrmals, es würde gerade kopiert, diese Behauptung war allerdings falsch. Einige Zeit, nachdem die Opposition zusammen mit kleinen Teilen der Mehrheit diese Ausnahme angenommen hatte (19:16), sprach der Minister im Zusammenhang mit dem Sousamendement zur Ausnahmeregelung für Forschung und Lehre (312) schon wieder von diesem Abkommen, also beantragte François Bayrou (UDF) eine Unterbrechung, um die zugesagten Kopien des Abkommens abholen zu können. Da diese Kopien aber, entgegen der Behauptung des Ministers, immer noch nicht bereit lagen, nutzten die Abgeordneten die Zeit, um Agenturmeldungen zu lesen.

Wiedereinführung von Artikel 1

An dieser Stelle gab es dann einen Eklat, denn die Nationalversammlung erfuhr an dieser Stelle aus der Zeitung, daß die Regierung Artikel 1 wieder einführen wollte. François Bayrou dazu:
Die Nationalversammlung kann nicht akzeptieren, wie eine Marionette behandelt zu werden, vor der man einen Artikel zurückzieht [für den ein Änderungsantrag gegen die Regierung angenommen wurde] und wiederaufnimmt, etwas, das unseren Debatten ein ganz widerliches Images gibt [....] Welche Meinung wir auch immer über das Urheberrecht haben mögen, die Nationalversammlung kann etwas derartiges nicht akzeptieren. Die Regierung kann nicht die Dringlichkeit zu einem Text aufrechterhalten, der einem ständigen Meinungswechsel unterliegt, bezüglich dessen wir auf eine Weise manipuliert werden, auf die eine Versammlung, die das französische Volk repräsentiert, nicht manipuliert werden darf.
Originaltext:
L'Assemblée ne peut pas accepter d'être ainsi considérée comme une marionette devant laquelle on retire un article, on le reprend, or le rétablie, enfin quelque chose qui donne de nos débat une image absolument détestable [...] Alors, quelle que soit l'opinion que nous avons sur les droits d'auteurs et les droits voisins sur Internet, mais l'Assemblée ne peut pas accepter cela, et le gouvernement ne peut pas maintenir l'urgence sur un texte qui est fait de palinodies réiterées sur lesquelles nous nous voyons manipulés comme une Assemblée représantant le peuple français n'a pas le droit de l'être.
Frédéric Dutoit:
Ich gebe ja zu, daß ich mit dem Ablauf nicht sonderlich vertraut bin, aber ich verstehe nichts, absolut nichts mehr! Ich habe selber überprüft, ob es wirklich eine Agenturmeldung AFP gibt: sie existiert... Journalisten machen solche Fehler nicht... es ist unglaublich, daß die Regierung einen Artikel 1 zurück auf die Tagesordnung setzen kann, den sie Montag abend zurückgezogen hat, wo wir doch hier Dienstag abends und nachts eine ganze Debatte darüber geführt haben, ob wir ein Amendement 272 der Regierung haben, welches sich direkt hinter einen Artikel 1 setzte, der nicht mehr existierte, und der Minister hat uns gerade bestätigt, daß die Journalisten der AFP, die hoffentlich auch ein Urheberrecht haben [Anmerkung: Das ist eine Spitze gegen ein Abkommen zwischen Regierung und Musikindustrie, die etwas anderes suggeriert], und daß er die Debatte zum Artikel 1 wieder auf die Tagesordnung der Nationalversammlung setzen will. Herr Minister, gestern haben Sie uns das Amendement 272 als ein Amendement vorgestellt, welches Artikel 1 ersetzen sollte... wenn ich recht verstehe... werden wir bis zum Ende die Sousamendements zum Amendement 272 diskutieren, welches diesen ersetzt... und dann setzt uns die Regierung den Arikel 1, der mit diesem Amendement gar nichts zu tun hat und welches diesen ersetzt, wieder auf die Tagesordnung... wo sind wir eigentlich gerade!? Wenn der Minister uns etwas über Klarheit und Transparent der Debatten erzählt, entschuligen Sie bitte, aber das ist, vorsichtig ausgedrückt, überhaupt nicht klar! Es ist sicherlich sehr virtuell, aber ganz sicher nicht klar! ... und, Herr Minister, was mich am meisten beunruhigt, ist, wenn wir keine Angst vor dem Lächerlichen haben, es scheint, daß das Lächerliche nicht tötet, die Assemblée wird am leben bleiben, hoffe ich, aber wenn Lächerlichkeit nicht tötet, scheint es mir interessant, daß der Präsident der Nationalversammlung M. Debré , der uns gestern erklärt hat, daß das alles seine Richtigkeit hat, verfassungsmäßig korrekt ist, einen Artikel [1] aus einer Gesetzesvorlage zurückzuziehen und und dann ein Amendement zu diskutieren, welches Artikel 1 ersetzt, denn wir werden noch einmal auf den Artikel 1 zurückkommen, der nicht mehr existiert, ich hätte gerne gewußt, ob der Präsident der Nationalversammlung auf dem Laufenden ist, um aus seinem Mund die Realität dieses Ablaufes zu hören.
Man sieht schon, daß Frédéric Dutoit das ganze nicht mehr komisch findet, der Satzbau ist auch im Originaltext nicht besser:
J'avoue que je ne suis pas très familier de procédures, mais j'y comprends rien! Mais absolument rien du tout! J'ai moi-même vérifié s'il y avait effectivement une dépêche AFP: elle existe. ... Les journalistes ne peuvent pas faire des erreurs comme ça. .. C'est incroyable que le gouvernement puisse remettre à l'ordre du jour un article premier que l'on avait retiré lundi soir, alors que nous avons eu ici même tout un débat mardi soir et dans la nuit pour savoir si nous avions un amendement No. 272 du gouvernement qui venait s'insérer après un article premier qui n'existait plus, et le ministre vient de nous confirmer qu'effectivement les journalistes de l'AFP qui ont des droits d'auteur, j'espère, ne se sont pas trompés, et qu'il souhaitait remettre à l'ordre du jour de l'Assemblée le débat sur l'article premier. Or.... hier, M. le ministre, vous nous avez présenté l'amendement 272 comme un amendement substitutif à l'article premier... si je comprends bien... nous allons discuter la fin des sous-amendements sur l'amendement 272 du gouvernement qui se substitue à l'article premier ... et puis le gouvernement va nous remettre l'article premier, qui n'a rien à voir avec l'amendement qui se substitue à lui... où en en est!? Quand le ministre nous parle de transparence et de clarté des débats, vous m'excuserez, mais pour le moins, ce n'est pas limpide! C'est certainement très virtuelle, mais pas limpide du tout! .... et M. le président, ce qui m'inquiète le plus, c'est que effectivement, si nous n'avons pas peur de ridicule, il paraît que le ridicule ne tue pas, l'Assemblée restera vivante, je le souhaite, mais si le ridicule ne tue pas, il me semblerait intéressant que le président de l'Assemblée nationale M. Debré qui nous a dit hier qu'il est tout à fait règlementaire, constitutionnel de retirer l'article [premier] d'un projet de loi et puis après discuter sur un amendement qui se substitue à l'article premier, puisque nous allons revenir encore une fois avec un article premier qui n'existe plus, j'aimerais savoir si le président de l'Assemblée nationale est bien au fait de cette situation afin d'avoir de sa bouche peut-être la réalité de cette procédure.
Am Tag darauf...Didier Migaud:
Wir diskutieren seit gestern, nachdem der Vorsitzende der Nationalversammlung versucht hatte, uns zu erklären, daß das Vorgehen eine gewisse Koherenz, eine gewisse Logik und auch Präzedenzfälle hatte, selbst wenn man, so wie es scheint, bis 1961 zurückgehen muß, um einen Präzedenzfall zu finden. Wir sind also dabei, eine gewissen Anzahl Änderungsanträge nach Artikel 1, der nicht mehr existiert, zu diskutieren; und man erklärt uns, zumindest auf dem Gang (es wäre wichtig, daß wir eine Bestätigung bekommen), daß die Regierung wahrscheinlich noch einmal ihre Meinung ändern wird, daß unsere Debatten seit gestern sinnlos und umsonst gewesen sind, und daß Artikel 1 wieder eingeführt wird. Über wen macht man sich denn hier lustig? Über wen macht man sich denn hier lustig? Kennt der Minister eigentlich seinen eigenen Text?
Originaltext:
Nous discutons depuis hier, après que le président de l'Assemblée nationale ait tenté de nous expliquer que la procédure suivie avait une certaine cohérence, avait une certaine logique, et des précédants, même si, semble-t-il, il fallait remonter à 1961 pour connaître un précédant. Nous sommes en train de discuter d'un certain nombre d'amendements après l'article premier qui n'existe plus; et on nous explique tout au moins dans les couloirs, mais il serait important que nous puissions en avoir confirmation, qu'il est vraisemblable que le gouvernement va une fois de plus changer d'avi, considérer que toutes les discussions que nous avons eu depuis hier, sont caduques, perimées, et que l'article premier va revenir. Là aussi, de qui se moque-t-on? De qui se moque-t-on? Est-ce que le ministre connaît bien son texte?
Anmerkung von mir: Diese Regierung 1961, die als einzige je einen Artikel zurückgezogen hat, welcher bereits vom Parlament verändert wurde, ist auch die einzige Regierung der 5. Republik, die jemals durch eine "motion de censure" abgesäbelt worden ist: Unterschreiben 10% der Abgeordneten der Nationalversammlung diese motion de censure, so kann die Nationalversammlung mit den Stimmen der absoluten Mehrheit der Mitglieder 48 Stunden später den Premierminister absetzen.

Nationalversammlung bekommt das Abkommen zu Lesen

Später schaffte es der Minister endlich, dieses Abkommen heranzuschaffen, und es stellte sich heraus, daß es sich um ein Abkommen zwischen Regierung und Musikindustrie handelte, was einer gerichtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten würde, und insbesondere enthielt das Abkommen keine Regelung irgendeiner Art für Dokumente, deren Rechteinhaber Journalisten sind. Die Behauptung, die Ausnahmeregelung für Bibliotheken müsse aufgrund des Abkommens wegen Überflüssigkeit nicht ins Gesetz geschrieben werden, ist also schlicht und einfach inhaltlich falsch und nichts weiter als Blödsinn. Der Minister hat die Nationalversammlung, so Patrick Bloche, "an der Nase herumgeführt".

Auch am nächsten Tag ging es weiter: Christian Paul stellte die Lage wie folgt dar:

Die Durchsicht dieser Gesetzesvorlage über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft, die einen besonders wichtigen Moment in der Gesetzgebung darstellt, ist eine unzumutbare Erniedrigung der Institutionen der Republik geworden. Es ist ein echter Schlamassel der unsere Institutionen lächerlich macht.
Originaltext:
L'examen de ce projet de loi sur les droits d'auteurs dans la société de l'information, qui est ... un moment législatif particuliairement important, est devenu une humiliation inacceptable pour les institutions de la république ....C'est un vrai gâchis qui ridiculise nos institutions.
François Bayrou:
Ich nehme an, Herr Minister, daß Sie gestern abend Mitarbeiter in den Gängen der Nationalversammlung hatten, und ich nehme an, daß Sie heute morgen Radio gehört haben. Ich werde auf die Stimmung in den Gängen der Nationalversammlung gestern abend und die Kommentare im Radio heute morgen eingehen, und dabei denke ich an die zehntausenden von Internetnutzern, die in diesem Moment versuchen, und das ist nicht leicht, eine Debatte zu einem Text zu verfolgen, die für sie extrem wichtig ist. Die gestern abend in den Gängen am häufigsten Benutzen Wörter waren 'Apokalypse'. Niemals zuvor, sagen die Abgeordneten aller Gruppen, einschließlich die der Mehrheit, hat man eine solche Unordnung, ein solches Durcheinander, ein solches Chaos in einer wichtigen Debatte in der Nationalversammlung gesehen. Heute morgen waren die Kommentare in den Radios noch deutlicher...
Originaltext:
J'imagine, M. le Ministre, que vous aviez des collaborateurs hier soir dans les couloirs de l'Assemblée nationale, et j'imagine que vous avez écouté ce matin les radios. Et j'évoquerai l'ambiance dans les couloirs da l'Assemblée nationale hier soir et les commentaires dans les radios ce matin en pensant à quelques dizaines de milliers d'internautes qui en ce moment même essaient, et ce n'est pas facile, de suivre le débat sur ce texte qui leur importe au plus haut point. Les mots qui ont été le plus utilisés hier soir dans les couloirs c'etait 'apocalypse'. Jamais disaient des débutés éminants de tous les groupes y compris du groupe majoritaire, jamais disaient-ils on a vu un tel désordre, embrouillamini, un tel chaos, dans un débat important dans cette Assemblée. Ce matin, les commentaires des radios étaient encore plus sévères...
Henri Emmanuelli:
Wir haben den Rückzug eines Artikels miterlebt, um einen Artikel draufzudrücken, der danach kam... da wir beim Ablauf sind, Herr Minister, Sie haben den Artikel zurückgezogen. Ich frage mich, in Anbetracht dessen, wie lächerlich Sie die Nationalversammlung machen, und wie lächerlich Sie auch die Regierung machen, ob das Problem nicht eher wäre, den Minister zurückzuziehen!
Originaltext:
On a ensuite assisté au retrait d'un article pour appuyer dessus un article qui venait après... Puisque nous sommes sur la procédure, vous avez y retiré l'article, M. le Ministre. Moi je me demande, compte tenu du ridicule que vous infligez à l'Assemblée nationale, et du ridicule aussi que vous infligez au gouvernement, si le problème en fait ce ne serait pas plutôt de retirer le Ministre!
Zurück zur Wiedereinstellung des Artikel 1. Der Grund dafür: Das ursprüngliche Entfernen von Artikel 1 war verfassungsmäßig fragwürdig, weil es unter Bedingungen geschah, für die es genau einen Präzedenzfall gab, und zwar 1961. Das Problem war das folgende: Das Recht jedes Hauses des Parlamentes, Änderungsanträge zu stellen und anzunehmen, ist beinahe heilig. Würde man also erlauben, daß die Regierung einfach einen Artikel zurückzieht, zu dem schon Änderungsanträge angenommen wurden, könnte die Regierung jedesmal, wenn das Parlament einen Artikel gegen den Willen der Regierung ändert, den Artikel zurückziehen. Unter solchen Bedingungen könnte sich das Parlament auch gleich die Debatte sparen. Daher ist das Zurückziehen eines bereits vom Parlament veränderten Artikels extrem problematisch, auch wenn die Verfassung sagt, daß die Regierung eine Gesetzesvorlage oder Teile davon zu jedem beliebigen zurückziehen kann, solange die Vorlage nicht endgültig angenommen worden ist.

Der Verfassungsrat ("Le conseil constitutionnel") riet von diesem Vorgehen ab. Auch wenn das Wiederaufnehmen eines rechtmäßig zurückgezogenen Artikels nicht möglich ist ("il n'est pas prévu que le gouvernement puisse ..."), ist es scheinbar dennoch möglich, eine Entfernung, die nicht rechtmäßig geschah, zum Beispiel durch ein entsprechendes Amendement, zu annullieren. Interessant ist allerdings, daß die Regierung, wie die Opposition aus der Zeitung erfuhr, dieses Annullieren des Zurückziehens des Artikel 1 bereits beschlossen hatte, bevor diese Meinung des Verfassungsrates eintraf. Man könnte sich also fragen, ob die Regierung sich sogar im Klaren darüber war, daß das Zurückziehen von Artikel 1 unter diesen Umständen fragwürdig war, und ob die Regierung nicht Artikel 1 nur zurückgezogen hat, um das Einreichen von Amendement 272 zu rechtfertigen, in dem Wissen, daß sie später dann Artikel 1 wieder einführen muß, weil das Zurückziehen die Verfassung dehnt.

Also gab es nun sowohl Artikel 1 als auch Amendement 272, welches eine Alternative nach Artikel 1 zu Artikel 1 bringen sollte, welcher erst existierte, dann zurückgezogen wurde, so daß es einen Änderungsantrag zu einem Artikel gab, der nicht existierte, um die Stellung des Antrages auf Amendement 272 zu rechtfertigen, und dann wieder existierte, weil das Zurückziehen möglicherweise rechtswidrig war und annulliert wurde. An dieser Stelle sollte ich sagen, daß Patrick Bloche (PS) jedesmal, wenn die Rede von Artikel 1 oder Amendement 272 war, eine Gemeinheit in diese Richtung losließ, um sicherzustellen, daß jeder versteht, was dort vor sich geht.

Es wurden dann also alle Sous-amendements zu Amendement 272 debattiert und abgestimmt. Amendement 272 lag damit also vor und hätte abgestimmt werden können, wenn alles so einfach wäre wie es bisher scheint. Da aber Amendement 272 nach Artikel 1 geschrieben wurde, waren Änderungen, die in Amendement 272 in Form von Sous-amendements einfließen sollten, natürlich in Artikel 1 nicht enthalten, sondern lagen auch in Form von Amendements vor. Also gab es weitere Amendements zu Artikel 1, die inhaltlich identisch mit einigen Sous-amendements zu Amendement 272 waren. Jetzt verlangte die Regierung wirklich, daß diese noch einmal diskutiert und abgestimmt werden.

Jetzt wird auch klar, wieso Amendement 272 in seiner endgültigen Form nicht abgestimmt werden konnte: Würden einige Amendements, die inhaltlich identisch zu einigen Sous-amendements zu Amendement 272 sind, widersprüchlich abgestimmt, wäre Artikel 1 widersprüchlich in sich!

Als dann der Vorsitzende auch noch der Opposition entgegen der Verfassung (zumindest bestand die Opposition darauf, daß dies so sei, ich persönlich kann dazu keine Stellung nehmen, da ich die französische Verfassung nicht kenne und mich nur auf die Aussagen der Abgeordneten verlasse) kein "rappel au règlement" erlauben wollte, verließ die Opposition aus Protest gegen diese Vorgehensweise das Parlament. Die Regierung lehnte dann Artikel 1 ab und nahm Amendement 272 an, unter Abstimmbedingungen, für die lächerlich gar kein Ausdruck ist (28 vs 0). Im Gesetz befindet sich als endgültig ein zusätzlicher Artikel nach einem Artikel, der gar nicht existiert, weil er kam, und ging, und kam, und dann endgültig ging.

Die ständigen Forderungen sowohl der Opposition als auch der UDF, die zur Mehrheit gehört, die Dringlichkeit zurückzuziehen, wurden vom Minister ignoriert. Hier ist der Unterschied zwischen ignoriert und verweigert wichtig, denn Renaud Donnedieu de Vabres (et Vivendi) schaffte es nicht einmal, die Frage Werden Sie, ja oder nein, die Dringlichkeit zurückziehen mit Ja oder Nein zu beantworten. Allerdings sagte er immer wieder, die Assemblée nationale bekäme soviel Zeit, wie sie bräuchte, um jeden einzelnen Artikel, jeden einzelnen Änderungsantrag, ordentlich zu diskutieren, und daß absolut keine Eile sei, insbesondere, daß die Regierung keinerlei Druck mache. Etwas unklar ist allerdings, wie diese Aussage damit zusammenpaßt, daß er die Dringlichkeit nicht zurückgezogen hat.

Auswertung

Niemand kann mir weißmachen, daß diese Taktik spontan aus dem Nichts heraus entstanden ist. Vielmehr halte ich es für wahrscheinlich, daß diese geplant war. Folglich ist der Zick-Zack-Kurs bestenfalls vorgetäuscht und keinesfalls tatsächlich vorhanden.

Um es noch einmal zusammenzufassen: Die Regierung reichte ein Amendement 272 ein, welches den von der Assemblée nationale veränderten und danach von der Regierung zurückgezogenen Artikel ersetzen sollte, indem es nach dem Artikel, den es nicht mehr gab, und den die Regierung, nachdem es ihn bereits nicht mehr gab, durch einen substitutives Amendement ersetzen wollte, einen zusätzlichen Artikel einfügte. Noch bevor der Verfassungsrat sein Mißfallen ausdrückte, erfuhr die Assemblée nationale aus der Zeitung, daß die Regierung Artikel 1, der durch ein substitutives Amendement ersetzt wurde, welches einen zusätzlichen Artikel nach einem Artikel, den es nicht mehr gab, einfügte, wieder zur Debatte stellen wollte, um nach der zweimaligen Diskussion von identischen Inhalten gegen den Artikel 1 zu stimmen, den die Regierung sowieso loswerden wollte.

Die juristischen Abberationen wurden in den folgenden Tagen wie gewohnt fortgesetzt. Der mit abstand wichtigste Teil war dann die Diskussion zum Verbot von Open-Source-Software:

Amendement Vivendi Universal

Dieses Amendement 150, benannt nach dem Autor Vivendi Universal, verbietet in seiner ursprünglichen Fassung, Vorrichtungen zu entwickeln, die offensichtlich dazu dienen, urheberrechtlich geschützte Werke illegalerweise der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, also zum Beispiel Peer-to-Peer-Programme. Die vorgesehene Strafe für die Entwicklung von Peer-to-Peer-Programmen waren 3 Jahre Haft und 300.000€ Geldstrafe.

Dann wurde, statt dieses Amendement abzulehnen, zunächst "Vorrichtung" durch "Software" ersetzt und dann ein Sousamendement zu diesem Amendement angenommen, der selbiges praktisch auslöscht, um das ausgelöschte Amendement dann anzunehmen. Beide stammen von Richard Cazenave und Bernard Carayon (UMP). Dieses Sousamendement 364 schließt Peer-to-Peer-Programme aus, welche eines der folgenden Kriterien erfüllt:

BitTorrent dürfte damit nicht mehr unter dieses Amendement Vivendi fallen, da der Entwickler sich vom Mißbrauch für illegales Downloaden geschützter Werke distanziert und er BitTorrent also wohl zum kostenlosen Verbreiten von Dateien entwickelt hat, deren Urheber dieser Verbreitung zustimmen. Das ist durchaus Realität, beispielsweise erhält man Linux - ISOs seit einiger Zeit schon per BitTorrent. Selbst bei eMule müßte man sich fragen, ob es tatsächlich für illegales Downloaden vorgesehen ist, oder ob es lediglich gegen den guten Willen der Entwickler dazu mißbraucht wird.

Auf dem Forum von framasoft hat Bernard Carayon (UMP) inzwischen bestätigt, daß die Ablehnung des Amendement Vivendi auf Grund zu großer Zustimmung seitens der UMP sowieso nicht zur Debatte stand bzw. nicht zu erreichen war, und daß deswegen dieses auf den ersten Blick sicher etwas eigenartig anmutende Manöver verwendet wurde, um das Amendement wenigstens so gut wie auszulöschen.

Daß Richard Cazenave (UMP) und Bernard Carayon (UMP) selbst - trotz anfänglicher Bedenken - im Forum einige Fragen beantwortet haben, demonstrierte sehr schön eine mögliche Form von Demokratie, auch wenn diese Gesetzesvorlage selbst und die prozeduralen Abberationen, deren sich die Regierung bediente, eher nicht als gutes Beispiel dafür geeignet ist. Laut der ersten Rückmeldung einer der Administratoren des Forums sind beide zufrieden mit dem Ablauf.

Patrick Bloche: E-Mail über MP3-Kompression der Reden von "RDDVV" (Renaud Donnedieu de Vabres et Vivendi)

Hier der Text einer E-Mail, die jemand an Patrick Bloche geschrieben hat, und die er in der Nationalversammlung vorgelesen hat:

Würde man eine MP3-Kompression der Reden des Ministers für Kultur durchführen, würde tatsächlich nichts davon übrig bleiben. Wie Sie wissen, basiert die Technologie der MP3-Kompression auf einer Technik zur Kodierung, die die Datenmenge auf 1/4, oder gar 1/12, verringern kann. Einerseits verwirft diese Technik Ultra- und Infraschall, den das menschliche Ohr nicht wahrnehmen kann. Der Minister für Kultur macht Gesetze nicht nur für Frankreich, sondern auch für die Welt und sogar darüber hinaus [Anm.: wie bitte??], so sagt er. Die Frequenzen seiner Reden über das 'darüber hinaus' werden also bei der MP3-Kompression nicht gespeichert. Andererseits erlaubt die MP3-Technologie, Redundanzen zu entfernen und anders zu kodieren. Da der Minister wie in einer Schleife 'point d'équilibre' [Anm.: Gleichgewichtspunkt] wiederholt, bisher 147 Mal, würde dies wie folgt kodiert werden: 147 Mal 'point d'équilibre'. Das funktioniert natürlich auch für Sie, M. le Rapporteur [Anm.: Derjenige, der das Gesetz 'gebracht' hat] für Ihr von nun an berühmtes 'défavorable' [Anm: défavorable drückt aus, daß man etwas, zum Beispiel einen Änderungsantrag, nicht gutheißt]

Originaltext

Si on faisait un fichier MP3 des discours du ministre de la culture, en fait, il n'en resterait rien. Comme vous le savez, la technologie de compression numérique MP3 repose sur une technique de codage, permettant de réduire par 4, voire par 12, le poids du fichier numérique. Cette technique d'une part ne retient pas les ultrasons et les infrasons, que l'oreille humaine ne peut pas percevoir. Le ministre de la culture légiférant pour la France, le monde, et au-delà, ce sont ses propos, les fréquences de son discours destiné à l'au-delà ne sont donc pas conservé après l'encodage en MP3. D'autre part et surtout la technique du MP3 permet de supprimer des redundances en les codant différemment. Ainsi, lorsque le ministre répète en boucle 'point d'équilibre' à 147 reprises dans les débats, cela se transforme en un seul code suivant 'point d'équilibre 147 fois'. Cela fonctionne aussi, rassurez vous M. le Rapporteur, avec vous et votre desormais célèbre 'defavorable'.
Wenn auch technisch nicht ganz korrekt, beschreibt es sehr gut und sehr verständlich auf eine amüsante Weise das Auftreten von Renaud Donnedieu de Vabres (et Vivendi) in dieser ganzen Debatte.

La Riposte Dégradée

Für einen Akt des Downloadens, der kein automatisches Uploaden einschließt, soll eine Strafe von 38 Euro verhängt werden, für einen Download mit automatischem Upload sollen 150 Euro verhängt werden. Da fast alle P2P-Programme nur vernünftig funktionieren, wenn man auch uploaded, ist diese 38€-Strafe also Blödsinn und sollte als nicht vorhanden betrachtet werden.

Fraglich ist: Downloaded man ein Archiv mit 10.000 MP3s darin, ist das ein Downloadakt? Oder 17? Oder 10000? Trotz präziser Nachfrage von Seitens der Sozialisten (u.a. Patrick Bloche) weigerte sich der Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabres (et Vivendi), auf diese Frage zu antworten.

Recht auf Verteidigung von Opfern der Riposte Dégradée

Patrick Bloche fragte den Minister, wie die Riposte Dégradée durchgeführt werden soll, und vor allem, wie das Recht auf Verteidigung und Anfechtung von Anschuldigungen garantiert werden soll. Wenn diese Rechte nicht sichergestellt sind, riskiert das Gesetz, verfassungswidrig zu sein. Der Minister sprach auf diese Frage hin mehrere Minuten lang, ohne die Frage zu beantworten.

Das Recht auf wenigstens null Privatkopien

Die Regierung, also besonders der Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabres (et Vivendi) sowie Christian Vanneste, behaupten immer wieder, die Privatkopie wäre durch dieses Gesetz gesichert. Schon im Dezember redete Christian Vanneste wiederholt von einem mysteriösen Amendement 30, welches die Privatkopie garantieren sollte. Etwas verwunderlich war da die Aktion, das Amendement 30 zurückzuziehen, und zwar in dem Moment, wo es zur Diskussion und Abstimmung gestellt werden sollte. Christian Vanneste gab als Grund an, daß er nicht wollte, daß im Gesetz stehe, eine Privatkopie sei garantiert. Folglich kann man das Nichtgarantieren mindestens einer Privatkopie zusammen mit der Behauptung, die Privatkopie sei garantiert, nur so auffassen, daß wenigstens null Privatkopien garantiert sind.

Dieser Teil ist definitiv einer der dümmlichsten der vorläufigen endgültigen Fassung von DADVSI.

Ausnahmeregelung für Bibliotheken

Gegen den Willen der Regierung verabschiedete die Assemblée nationale eine Ausnahmeregelung, die es Bibliotheken gestattet, für ausschließlich nichtkomerzielle Zwecke urheberrechtlich geschützte Werke zu kopieren, unabhängig davon, ob der Autor dem zustimmt oder nicht. Offensichtlich ist diese Regelung extrem hilfreich für den kostenlosen Zugang zu Kulturgütern ebenso wie der Zugang zu Wissen.

Keine Ausnahmeregelung für Forschung und Lehre

Diese Ausnahmeregelung konnte der Minister für Kultur Renaud Donnedieu de Vabres (et Vivendi) erfolgreich verhindern. Im Blog von Christian Paul fragte jemand, wieso es sinnvoll sei, eine Ausnahmeregelung für Bibliotheken, aber keine für Forschung und Lehre zu haben. Die Frage ist berechtigt, die Antwort ist ganz einfach: Es ist nicht sinnvoll, es ist einfach so, weil die Assemblée nationale nur die Ausnahme für Bibliotheken gegen die Regierung akzeptiert hat. Mit der Ausnahmeregelung für Forschung und Lehre hat sie sich von den angeblich so tollen Verträgen der Regierung an der Nase herumführen lassen.

Urheberrechtsabgaben auf Medien, auf denen Aufnahmen gespeichert sind, die zum Beispiel in einer Radiologie gemacht wurden

Ein Amendement, welches diesen hanebüchernen Unfug verhindert hätte, wurde nicht angenommen. Folglich werden Urheberrechtsabgaben für das Speichern von Dingen bezahlt, für die derjenige, der das Speichern durchführt oder in Auftrag gibt, selbst die Rechte hat.

Folglich werden die Rechteverwerter (nicht etwa Künstler) vom Gesundheitssystem mitfinanziert werden.

Kein Anspruch auf Auskunft auf Kopierschutz

Der Entwurf sieht in seiner jetzigen Fassung vor, daß Käufer darüber informiert werden, wenn sie absolut nutzlose Datenträger erwerben (also solche, die sich nicht abspielen lassen, ich bitte darum zu beachten, daß diese Formulierung von Didier Mathus stammt und nicht von mir). Allerdings wurde ein Änderungsantrag, welcher besagte, daß auch eine Information über Kopierschutzmaßnahmen zu erfolgen hat, ablehnt. Für Christian Vanneste erfüllt ersteres automatisch letzteres, was zwar momentan tatsächlich nicht von der Hand zu weisen ist, was sich jedoch mit neuen Mechanismen zum Digital Restrictions Management sehr leicht ändern kann. Das Gesetzt ist also absichtlich so ausgelegt, daß es entweder keine Information über Kopierschutzmaßnahmen verlangt, die Privatkopien verhindern, oder daß es innerhalb kurzer Zeit ein Update benötigt.

Früh um drei Uhr: Interoperabilität

Wie Patrick Bloche zu sagen pflegt: C'est le comble du ridicule (frei übersetzt: Das ist doch absolut lächerlich), mit einer scharfen Betonung auf comble. Um früh 2 Uhr des 17.03.06 beantragte Richard Cazenave (UMP) die 1 oder 2 Tage vorher von ihm persönlich geleugnete geplante Deuxième Délibération (2. Überlegung) zu Artikel 7, um 2:10 eine Pause zu machen und um hinterher weiter dieses furchtbare Gesetz zu diskutieren.

Während dieser 2. Überlegung, im Zeitrahmen von etwa 2:30 bis 3:45, wurde Interoperabilität garantiert: Die Dekompilierung einer Maßnahme zum Digital Restriction Management zur Herstellung von Interoperabilität wurde zugelassen, ebenso wurde der Anspruch auf Herausgabe der Spezifikation festgehalten, was nötig ist, um effektiv Interoperabilität umsetzen zu können. Einer der gefährlichsten Punkte dieser Gesetzesvorlage wurde also klamm und heimlich, nachts zwischen 2:30 und 3:45, korrigiert, zu einer Zeit, zu der die Musik- und Filmindustrie nicht zuschaut.

Vielleicht hätte man die gesamte Debatte in Sitzungen zu einer solchen Zeit stattfinden lassen, dann wären die vielen unsinnigen weiter oben beschriebenen Inhalte vielleicht auch im Sinne des einfachen Internetnutzers korrigiert worden. Zu diesem Zeitpunkt wußte noch niemand, daß der Senat im Mai dem Druck von Apple erliegen würde und diesen Artikel im wesentlichen abschaffen würde.

Apple: Recht auf Abspielen gekaufter Musik ist staatlich geförderte Piraterie

Mit dem Gedanken, daß man legal erworbene Musik abspielen darf, kann sich Apple gar nicht anfreunden, zum Beispiel da man so nicht von einem Anbieter von Maßnahmen zum Digital Restrictions Management auch zu Abspielgeräten und Abspielsoftware vom gleichen Anbieter gezwungen werden kann, anders ausgedrückt also Mono- oder Oligopolbildung erschwert wird.

Blogs des Kulturministers und von Christian Paul

Der Minister für Kultur Renaud Donnedieu de Vabres (et Vivendi) verwendete 180.000€ (einhundertachtzigtausend) seines schrumpfenden Haushaltes, um ein Blog aufzubauen, welches er nach 24 Stunden wieder schloß, da 95% derjenigen, die sich dort zu Wort meldeten, Meinungen gegen seine Gesetzesvorlage äußerten. Mit 179.950€ weniger kam Christian Paul aus, um ebenso ein Blog einzurichten, und zwar mit Hilfe von freier Software und von Freiwilligen.

Forenbeiträge

Laurent Wauquiez, Abweichler innerhalb der UMP, hat sich auf einem Forum unter das normale Volk gemischt, und wenigstens einige Fragen beantwortet bzw. einige Vorgänge kommentiert, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Es sei angemerkt, daß seine Identität von seinem Sekretariat bestätigt worden ist.

Druck auf die Abweichler in der Regierungspartei UMP

Q: Auf einer Skala von 0 bis 9 (0 = keinen, 9 = extrem), wie würden Sie den Druck einschätzen, den die UMP auf Abweichler wie Sie, Suguenot, Cazenave etc ausübt?
A: 10

Ein Kommentar zur Form des Gesetzes

Ganz direkt ausgedrückt, auch wenn das wahrscheinlich keine Überraschung für irgendjemanden ist, dieser Text ist der größte parlamentarische Bug der letzten 20 Jahre.
'Bug' ist zwar neufranzösisch, aber wohl für jeden verständlich.

Entscheidungen über Privatkopien nicht mehr bei der Regierung

Eine Frage mal... nehmen wir mal an, die Macht bleibt bei der Regierung, wieviele unter Euch würden einem Typ wie RDDV vertrauen, wenn er eure Rechte verteidigt - ich sage das mit Humor - aber ich will nur zeigen, daß ein unabhängiges Gremium vielleicht eine bessere Garantie für Euch ist.

Zusammenfassung der Ergebnisse vom März

Im Dezember lag ein Text vor, der in sich kohärent war: Jedes mögliche Vergehen sollte mit 3 Jahren Haft und 300.000€ Geldstrafe geahndet werden. Verbrecher, die Privatkopien anfertigen, sollten von einer Privatpolizei aufgespürt werden, und das Verbot, jedwede Techniken des Digital Restrictions Management zu umgehen oder Hinweise zu geben, wie eine solche umgangen werden kann, sollte sicherstellen, daß Anbieter solcher Mechanismen Monopole aufbauen können, weil man ja für bestimmte Musik dann auch bestimmte Player brauchte und so weiter.

Das, was ende März vorliegt, ist immer noch ein Text, der an einigen Stellen auf die gleiche Art und Weise repressiv ist, der aber andererseits versucht, dem Nutzer einige wenige aber sehr wichtige Grundrechte zu erhalten, wie zum Beispiel, daß er gekaufte Musik abspielen darf, insbesondere vermeidet er, daß Abspielsoftware wie VLC zum Opfer des Gesetzes werden kann. Das sah der Text im Dezember nicht vor und akzeptierte beliebig hohe Kollateralschäden. Der Text versuchte immer noch, die Herstellung von Peer-to-Peer - Software als Verbrechen hinzustellen, dieser Versuch der Regierung wurde aber durch ein Sous-amendement derart aufgeweicht, daß man nicht mehr weiß, ob die Herstellung solcher Software mutig ist, oder ob das Amendement Vivendi eigentlich völlig annulliert wurde. Damit bleibt also ein gewisser Rest Rechtsunsicherheit. Strafen wurden pro illegalen Akt des Downloadens festgelegt, ohne einen 'Akt' zu definieren (wieviele Akte stellt das Downloaden eines Archives mit mehreren MP3s darin dar? Ist ein Film genauso teuer wie ein einzelnes Musikstück?) Diese Version, die nach der Debatte im März vorlag, war also inkonsistent, schwammig, beantwortete die Fragen der Umsetzung oder Umsetzbarkeit nicht, und der Weg, der dahin führte, verbog die Verfassung wie seit 45 Jahren nicht mehr, also anders ausgedrückt, bedeutet Arbeit für den Senat und den Verfassungsrat. Bravo!

Natürlich darf man nicht Dinge noch schlechter reden als sie sind. Gegenüber dem gemeingefährlichen Text vom Dezember lagen am 17. März ganz erhebliche Fortschritte vor. So wird Frankreich, falls das so erhalten bleibt, als erstes Land ins Gesetz schreiben, daß Interoperabilität ein Recht ist, und daß man das Recht hat, legal erworbene Musik anzuhören, ohne dabei auf bestimmte Hard- und Software festgenagelt zu sein. Wie die Umsetzung aber aussehen soll, ist noch alles andere als klar, und es sind weitere Fortschritte bei der Debatte im Senat nötig!

Wie geht es weiter?

Während der Debatte ließ Christian Paul verlauten, daß die Geschichte dieses scheußliche Gesetz hoffentlich bald vergißt. Dem muß ich widersprechen, denn diese Schandtat zu vergessen würde die Gefahr erhöhen, daß sich dieser Fehler irgendwo wiederholt! Dieses Gesetz ist, nach Laurent Wauquiez, der größte parlamentarische Bug der letzten 20 Jahre. Nach Patrick Bloche und Christian Paul ist es extrem gefährlich. Eine mögliche Erklärung ist zum Beispiel, daß auch das aufgeweichte Amendement Vivendi sehr viel freie Software ins juristische Zwielicht rückt, viele Entwickler das nicht riskieren werden, und damit die Entwicklung freier Software in Frankreich deutlich abnehmen wird.

Noch witziger sind Gerüchte, Apple ziehe in Betracht, angesichts der letzten Fassung, die Apple verpflichten würde, auf Anfrage die für die Herstellung von Interoperabilität nötige Dokumentation herauszurücken, den Vertrieb ihrer geDRMten Musik in Frankreich einzustellen. Eine solche Konsequenz des Gesetzes kann unmöglich im Sinne des Kulturministers sein, der immer wieder davon spricht, daß er ein umfangreiches legales Downloadangebot wünscht. Also kann man sagen, daß das Gesetz nach hinten losgegangen ist, noch bevor es dem Senat zur Absegnung vorgelegt worden ist. Herzlichen Glückwunsch, so schnell ist wahrscheinlich noch kein Gesetz jemals zuvor nach hinten losgegangen!

Der oben ausführlich beschriebene 'innovative Ablauf', wie ihn einer der Vorsitzenden der Sitzungen der Nationalversammlung nannte, wird auch den Verfassungsrat noch beschäftigen, da das Vorgehen die Verfassung stärker gedehnt hat als man es in den letzten 45 Jahren versucht hat. Auch die Schwammigkeit einiger Gesetze, wie das der Riposte Dégradée, könnte den Verfassungsrat stören. Der Senat wird dieses Gesetz im Mai untersuchen, und selbst wenn der Senat zustimmt, was nicht auszuschließen ist, hat der Verfassungsrat das letzte Wort.

Wir werden sehen, wie stark die Demokratie der "5ème Republique" ist.

Genau einen Tag, nachdem die Assemblée nationale für DADVSI 2.0 stimmte, kündigte die Justizministerin Brigitte Zypries an, den 2. Korb der Urheberrechtsreform in Angriff zu nehmen. Dieser sieht vor, daß das illegale Herunterladen eines Musikstückes mit bis zu 3 Jahren Haft bestraft wird. Die Bagatellklausel, die vorsah, bei geringen Verstößen die Staatsanwaltschaft zu entlasten und den Fall einfach fallen zu lassen, wurde auf Druck der Unterhaltungsindustrie entfernt. Widerstand dagegen ist nicht zu erwarten.

April 2006

Der Pinguin der Freiheit

Am 12. April berichtete Christian Paul in seinem Blog (welches, zur Erinnerung, mit 50€ um etwa 179,950€ günster war als das von Renaud Donnedieu de Vabres et Vivendi) vom Treffen mit einigen, deren Freiheit durch die Gesetzesvorlage DADVSI von Renaud Donnedieu de Vabres et Vivendi bedroht wird, zum Beispiel Leuten des Forums Framasoft und von StopDRM.

Das links eingeblendete Bild stellt sozusagen einen Pinguin der Freiheit dar, der den Abgeordneten überreicht wurde - natürlich personalisiert, im Bild der von Patrick Bloche - die sich unter von der Regierung absichtlich herbeigeführten, unmöglichen und unzumutbaren Arbeitsbedingungen gegen DADVSI gewehrt haben, die die Grundrechte der Menschen in der Informationsgesellschaft in der Assemblée nationale gegen den Minister für Kultur verteidigt haben, so gut sie konnten, mehr, als in Deutschland zu einem solchen Thema jemals zu erwarten wäre. Offenbar war ihnen klar, wieviel sie den bereits erwähnten Abgeordneten zu verdanken haben.

Die Liste des Bösen

Damit ist diese Liste von Amendements gemeint, die der Senator und Vizepräsident der Kommission für kulturelle Angelegenheiten eingereicht hat. Folgendes sind die wesentlichen Punkte, die Michel Thiollière geändert haben möchte:
  1. Das Amendement Vivendi soll wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt werden (Amendement 22)
  2. Der Artikel 7 über Interoperabilität soll so abgeändert werden, daß Interoperabilität nur dann möglich ist, wenn Content-Anbieter wie Apple oder Microsoft dies wünschen
  3. Das obligatorische Depot digitalisierter Texte, dessen Ziel es war, eine leichte, schnelle und billige Transkription zu ermöglichen, zum Beispiel um ein großes Angebot an in Braille verfügbaren Texten zu schaffen, soll nicht mehr obligatorischer Natur sein, um ein großes Angebot an in Braille verfügbaren Texten zu vermeiden. Spätestens hier zeigt Michel Thiollière sein wahres Gesicht.
  4. Die Strafe für das Privatkopieren einer MP3 per E-Mail soll auf 300.000 Euro und 3 Jahre Haft angesetzt werden, während die gleiche Privatkopie per e-Mule, wie von der Assemblée nationale beschlossen, bei 150 Euro bleiben soll. Dieses Vorhaben möchte er auf eine besonders interessante Weise umsetzen: Er möchte die neuen Sätze von 150 Euro nur auf P2P-Programme anwenden, so daß andere Methoden plötzlich unter die alten Regelungen fallen, die bis zur endgültigen Annahme von DADVSI keine Anwendung finden, da die Privatkopie per Download als Privatkopie anerkannt ist.
  5. Künstler sollen nicht das Recht haben, ihre Werke, wenn sie dies wünschen, kostenlos zur Verfügung zu stellen. Die Assemblée nationale hatte, mit dem Segen der Regierung, einen Änderungsantrag angenommen, der dieses Recht einräumte.

Mehr Spaß mit dem Amendement Vivendi Universal

Es ist unglaublich, was die Nationalversammlung und der Senat unternehmen, um das Amendement Vivendi Universal loszuwerden, ohne dagegen stimmen zu müssen.

Niemand wollte bisher Messer oder Hammer oder die Herstellung von Messern oder Hämmern oder das Geben von Hinweisen, wo man Messer oder Hämmer kaufen kann verbieten, obwohl auch Messer und Hämmer für illegale Aktionen verwendbar sind. Erst Recht wollte bisher niemand Schneebälle durch die Formulierung eines Gesetzes verbieten, welches den freien Verkauf von Wurfgeschossen einschränken soll.

Nachdem also die Nationalversammlung dieses Amendement abgelehnt hatte, indem sie ein Sousamendement angenommen hat, welches jedwede Möglichkeit nimmt, dieses Amendement auf irgendeine Software anzuwenden, bevor sie für das dann wirkungslose Amendement stimmt, und der Senator Michel Thiollière einen Antrag eingereicht hat, der den alten Zustand wieder herstellen würde, so daß auch Software betroffen ist, die offensichtlich dazu dienen soll, geschützte Werke unerlaubterweise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, auch wenn selbige Software dazu hergestellt wurde, Dateien zu tauschen, die ganz legal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, reichte nun der Senator Yann Gaillard einen weiteren Antrag ein, welcher nunmehr nur solche Software verbieten würde, die nicht offensichtlich, sondern ausdrücklich zum unerlaubten Verfügbarmachen geschützter Werke dient. Da keine Software daherkommt und sagt, sie sei zum illegalen Anfertigen von Privatkopien gemacht, würde auch diese Form der Veränderung eine Version schaffen, die auf keine einzige Software anwendbar ist, selbst wenn der Antrag von M. Thiollière angenommen wird.

François Bayrou (UDF) äußerte während der Debatte zum Sousamendement 364 (das, welches die Ausnahme für Forschung, kollaborative Arbeit und für Software, die zum legalen Tauschen von Dateien gedacht ist, einführte) v3.0 nach Amendement Vivendi Universal die Sorge, daß das so modifizierte Amendement verfassungswidrig sein könnte. In dem Fall würde es vom Conseil Constitutionnel kassiert werden. Die Verfassungswidrigkeit könnte sich daraus ergeben, daß ein Amendement, welches alles mögliche verbietet, was dann durch ein Sousamendement komplett ausgelöscht wird, gegen das Prinzip verstößt, daß Gesetze lesbar sein müssen. Der Conseil Constitutionnel hat in der Vergangenheit bereits Gesetze einkassiert, die unlesbar waren. François Bayrou sagte, wenn man gegen ein Amendement sei, solle man doch bitte einfach dagegen stimmen, und nicht, nur um gewissen Interessensverbänden eine Freude zu machen, eine ausgelöschte Version annehmen.

Mai 2006 - Die Debatte im Senat

Wie Frédéric Dutoit und Martine Billard bereits vorhergesagt hatten, gefiel dem Senat die Fassung, die die Assemblée nationale abgesegnet hatte, überhaup nicht, und machte so ziemlich alles sinnvolle rückgängig.

Das Amendement Vivendi Universal

Die Assemblée nationale hatte in der ursprünglichen Formulierung den Begriff "Vorrichtung" durch "Software" ersetzt und Software von der Klausel ausgenommen, die zur Forschung, zur gemeinsamen Arbeit, oder zum Tausch von Dateien bestimmt ist, die nicht der Vergütung durch das Urheberrecht unterliegen. Der Senat machte diese Änderung rückgängig. Witzig ist dabei, daß Renaud Donnedieu de Vabres (de Vivendi) im März vor der Assemblée nationale seine Zustimmung für diese Änderungen ausdrückte, und nun seine Zustimmung für das Rückgängigmachen genau dieser Änderungen ausdrückte.

Kein Recht auf Interoperabilität mehr

Wie verlangt, wurde der alte Artikel 7 nun zurechtgestutzt, um Interoperabilität nicht mehr zu garantieren. Den alten Artikel 7 hatte Apple als staatlich geförderte Piraterie bezeichnet. Auch der US-Handelsminister brachte seine Abneigung gegenüber Interoperabilität zum Ausdruck.

Stattdessen wurde - mit 164:159 Stimmen - eine Kommission für DRM beschlossen, die in Zukunft über Anträge auf Herausgabe von Informationen oder Dokumenten, die zur Herstellung von Interoperabilität nötig sind, zu entscheiden hat. Es ist vorgesehen, daß der Antragsteller eine "angemessene Entschädigung" zahlt - offenbar um der Kommission die Möglichkeit zu geben, Interoperabilität im Bereich von kostenloser Software nach eigenem Gutdünken komplett zu unterbinden (indem sie zu hohe Zahlungen als angemessen ansieht), oder uneingeschränkt gegen den Antragsgegener zu erzwingen (indem sie, wie im alten Artikel 7 vorgesehen, die Erstattung der Porto- und Papierkosten als angemessene Zahlung ansieht).

Das Problem könnte nur sein, daß erstens der Kommission nicht alle nötigen finanziellen Mittel, die sie braucht, zu Verfügung stehen, und zweitens, daß diese Kommission sich unlauteren Versuchen der Einflußnahme auf Entscheidungen ausgesetzt sieht.

Doch keine Tabaksteuer für "Commission des DRMs"

Die ursprüngliche Fassung des Amendement 21 sah vor, die "Commission des DRMs" mittels einer Erhöhung der Tabaksteuer zu finanzieren. Da das Amendement zunächst nicht von der Regierung stammte, durfte es nicht den Staatshaushalt durcheinanderbringen. Michel Thiollière dachte, er könne dem Artikel 40 der Verfassung so leicht entwischen. Bruno Retailleau ließ sich davon nicht beeindrucken und legte Widerspruch unter Berufung auf Artikel 40 ein.

Daraufhin übernahm Renaud Donnedieu de Vabres (de Vivendi) das Amendement und entfernte das mit dem Tabak. Die Kommission für DRM wird also doch nicht über die Tabaksteuer finanziert. Die Regierung selbst darf natürlich ihren eigenen Haushalt durcheinanderbringen, daher steht dies nicht im Widerspruch zu Artikel 40 der Verfassung.

Das Recht auf Null Privatkopien

Das Recht auf Null Privatkopien, das von Christian Vanneste eingeführt wurde, wurde vom Senat bestätigt. Ein Amendement, welches mindestens eine Privatkopie garantiert hätte, wurde vom Senat abgelehnt. Das Gesetz garantiert also weiterhin mindestens Null Privatkopien.

Umgehen von DRM für Interoperabilität

Ginge es nach Michel Thillière und der Kommission für kulturelle Angelegenheiten, wäre die von der Assemblée nationale abgesegnete Erlaubnis, Digital Restrictions Management zu umgehen, um Interoperabilität herstellen zu können, mit Amendement 23 gefallen. Der Senat lehnte dieses mit 10:11 ab. Damit wurde also Interoperabilität nicht völlig vom Senat getötet.

Spyware in DRM nur nach Erlaubnis

Während die Regierung Spyware grundsätzlich als festen Bestandteil von Digital Restrictions Management zulassen wollte, stimmte der Senat dem nicht zu: Sousamendement 284 wurde angenommen und verlangt die vorherige Zustimmung der CNIL, um Spyware in ein Digital Restrictions Management integrieren zu dürfen.

Kein DRM gegen den Künstler

Die Regierung wollte zu diesem Sousamendement keine Meinung äußern. Es wurde vom Senat angenommen, was bedeutet, daß Digital Restrictions Management nur eingesetzt werden kann, wenn alle Rechteinhaber, also vor allem auch der Interpret, der Benutzung von Digital Restrictions Management zustimmen.

Ausnahme für Forschung und Lehre

Die von Renaud Donnedieu de Vabres (de Vivendi) bekämpfte "Exception pédagogique", also eine Ausnahme für Forschung und Lehre, wurde ab 2009 beschlossen. Für 2006 wird es keine solche Ausnahme geben, für 2007 und 2008 gelten Verträge, die zum Beispiel die Auflösung von Bildern auf 72dpi beschränken. Das sind genau die Verträge, die Renaud Donnedieu de Vabres (de Vivendi) nicht der Assemblée nationale zeigen wollte.

Ausnahme für Bibliotheken

Auch gegen eine solche Ausnahme hatte Renaud Donnedieu de Vabres (de Vivendi) etwas und berief sich auf diese Verträge, die er der Assemblée nationale nicht zeigen wollte, als sie über diese Ausnahme entscheiden sollte. Die Assemblée nationale ließ sich allerdings in diesem Punkt nicht verkohlen und stimmte für diese Ausnahmeregelung. Der Senat hat selbige nun abgeschwächt, so daß Werke, die unter diese Ausnahme fallen, nur für die Konsultation vor Ort freigegeben sind.

Links/Kontakt

Das Recht zum Lesen

Diese Übersetzung eines Artikels von Richard Stallman mit dem gleichen Tenor wie '1984' zeigt eine düstere Vision der Zukunft, wenn das Urheberrecht Autoren mehr schützt, als sich hinterher als für die Kultur günstig herausstellt.

Kontakt

Ich bin erreichbar unter: alex@alexander-noe.com oder, noch für einige Monate, noe@hrz.tu-chemnitz.de